Februar 2015

Hommage an Hans Gretler

von Christian Teissl

Bild "01_Hans Gretler.jpg"
Der steirische Komponist Hans Gretler (1885-1953),
Quelle: Hildgund Taborsky

Die Hauptschauplätze von Ernst Golls Biographie sind rasch aufgezählt: Windischgraz und Graz als Ausgangs- und Endstation der kurzen Lebensreise, Marburg an der Drau, das heutige Maribor, als wichtigste Zwischenstation. Dort besuchte er das K.K. Staatsgymnasium, dorthin kehrte er später auf literarischen Wegen wieder zurück.
Ein Ort weitab von Golls engerer Heimat ist der obersteirische Markt Vorderberg. In dieser alten, traditionsreichen Bergbaugemeinde an der steirischen Eisenstraße lebte und wirkte in der Zeit vor hundert Jahren der aus Rottenmann gebürtige, später lange in der steirischen Landeshauptstadt ansässige Musiker, Lehrer und Komponist Hans Gretler (1885-1953).
Unter Gretlers neunzehn "Vordernberger Liedern", die erst in seinem Todesjahr als Heft im Druck erschienen, finden sich exemplarisch vier Lieder auf Gedichte von Ernst Goll: vom volksliedhaften "Mädchengebet" (1916) über "Sehnuchtsland" (1918), und "Zwischen heut und morgen" (1918) bis hin zu dem in der Formgebung bereits expressionistisch anmutenden Liedeslied "Ich hab mein Herz in deine Hand gelegt" (1919).
Diese Arbeiten sind nicht etwa Zeugnisse einer vorübergehenden Faszination, sondern die erste Ernte einer lebenslangen Obsession: Gretler, ungeachtet seiner ständigen Lehrtätigkeit ein ausgesprochen schaffensfroher Komponist, kehrte immer wieder und wieder zu Goll zurück, mitunter auch nur, um ein von ihm längst vertontes Gedicht wie das "Rätsel" in einem zweiten Anlauf erneut zu vertonen. Am Ende seines Lebens hatte er einen beträchtlichen Teil des Goll'schen Werkes sich künstlerisch anverwandelt, an die zwei Dutzend Gedichte, darunter etliche Schlüsseltexte wie "Meine Sehnsucht", "Verlöbnis" und den "Herbsttag", in sein musikalisches Idiom übersetzt.

Anders als Margarete Schweikert und Hanns Holenia, anders als Josef Kolleritsch und Josef Wagnes, hat Gretler uns keinen geschlossenen Zyklus von Goll-Liedern hinterlassen, sondern eine langsam, organisch gewachsene Sammlung. Einzelnes daraus findet sich in den diversen Liederheften, die er im Eigenverlag publiziert hat, unter Titeln wie "Lyrik der Heimat", anderes wieder ist nur handschriftlich in seinem Nachlass erhalten, den die Grazer Kunstuniversität aufbewahrt und betreut.
Nein, in Zyklen dachte und schuf Gretler nicht, wenn er den Bezirk der Goll'schen Dichtung betrat; doch hegte er am Ende seines Lebens den Wunsch, seine in alle Winde verstreuten und in allen Winkeln seiner Werkstatt abgelegten Gesänge vom "Bitteren Menschenland" zu einer einzigen großen "Goll-Kantate" zu vereinen und als abendfüllendes Werk zur Aufführung zu bringen. Es blieb beim Traum, beim bloßen Entwurf. Um ihn Wirklichkeit werden zu lassen, bedarf es wohl der Hand eines begabten Arrangeurs, der aus den vielgestaltigen Teilen ein großes Ganzes fügt.



Zur Erinnerung an Gretler hier nun eine kleine Bilderstrecke:

Von Vorderberg aus wandte der junge Lehrer Hans Gretler sich an Julius Franz Schütz, mitten im Ersten Weltkrieg, mit dem Ersuchen, ihm die Erlaubnis zu erteilen, Gedichte aus dem "Bitteren Menschenland" zu vertonen. Am 15. Oktober 1916 erreichte ihn folgende Antwort:

Bild "02_Brief von Schuetz.jpg"
Quelle: KUG-Bibliothek, Graz

Sehr geehrter Herr!
Da ich durch Golls letzten Willen sowohl, wie
durch den Verlagskontakt mit Fleischel alleiniger
Inhaber der Kompositionsrechte bin, so ist es mir
im Interesse des Toten und seines Werks ein
Vergnügen, Ihnen die Gedichte Golls zur Vertonung
und Veröffentlichung vollkommen frei zur Verfügung
stellen zu können. Nur bitte ich um Überlassung
je eines Exemplars der vertonten und gedruckten
Lieder.
In Hochachtung
Dr. JulFSchütz


Bild "03_Gretler, Ich hab mein Herz_kl.jpg"

Bild "04_Gretler_Zwischen heut und morgen.jpg"
Zwei frühe Goll-Vertonungen von Gretler. "Zwischen heut' und morgen" ist im Übrigen auch der Titel des Goll-Albums der Gruppe Ilmala von 2012



Bild "05_Nachruf_Gretler.jpg"

Kleine Zeitung, 27. Jänner 1953.
Als Verfasser dieses Nachrufs zeichnet Hans Wamlek, ein gebürtiger Marburger aus der Generation Ernst Golls, der als Lyriker und Musikkritiker Bekanntheit erlangte.



Mein Dank gilt Hildgund Taborsky, der Tochter des Komponisten,
weiters Carl-Ulrich Friederici von der KUG-Bibliothek und, nicht zuletzt, Andreas Stangl.