März 2014

Die ersten Goll-Denkmäler


…. wurden aus Worten und Versen errichtet. Inzwischen längst unauffindbar geworden, waren sie ursprünglich allgemein zugänglich, standen mitten unter den vermischten Nachrichten aus Nah und Fern in der heimischen Tagespresse.

Bild "AlineAliberti_Portrait_kl.jpg"Bereits an Golls erstem Todestag erschien in der "Tagespost", dem seinerzeitigen Leibblatt des Grazer Bürgertums, ein Gedicht der jungen Lehrerin Marie Knittelfelder (1885-1959), die unter ihrem Pseudonym Aline Aliberti in die steirische Literaturgeschichte einging: Sechs hymnische Strophen, adressiert an den Dichter des "Bitteren Menschenlandes", in Summe nichts anderes als ein lyrischer Leserbrief, eine Danksagung in Versen:  

Ernst Goll
Zum 13. Juli

In tiefer Sommerabendstille
Leg' ich dein Buch aus müder Hand. –
So klingt von Sehnsucht, Leid und Liebe
Ein neuer Ton im Menschenland …

Weltfremd und doch dem Leben jauchzend,
Trägt er die ganze brünst'ge Glut
Des leuchtenden Hochsommertages,
Darauf schon Todesahnen ruht.

Und aller Glanz der zarten Schwinge
Scheint seltsam weh … Noch glüht das Licht,
noch bebt die wunderbare Laute,
Bis deine Hand sie selbst zerbricht.

Uns aber ward als Sonnenerbe
Die Schönheit, die dein Leid erfand,
Da es allein und unbegriffen
An dunklen Schicksalstoren stand.

Und leis' im Zittern feinster Saiten
Wird eine herbe Frage wach.
Die geht der alten Schuld des Lebens,
Zerstörtem Sein und Hoffen nach – –

Die Heimat aber weiß erschauernd,
Was die zerschellte Laute gab
Und ruft in deinen frühen Frieden
Dir letzten, warmen Dank hinab.

Diese Verse scheinen zunächst lediglich für den Tag und die Stunde bestimmt zu sein, doch fanden sie schließlich den weiten Weg von der Zeitungsspalte in die Nachwelt, fanden Aufnahme in eine Auswahl von Alibertis Gedichten, die 1959 unter dem Titel "Aus Herbst und Schweigen" bei Ploetz in Wolfsberg erschien. Nun begann man sich für die Autorin, die ein Leben lang geschrieben hatte, auf dem Buchmarkt aber nie präsent gewesen war, zu interessieren, und so kam schon ein Jahr später ein Supplementband mit dem Titel "Nachklang" und dem Untertitel "Verse aus der Frühzeit und letzte Ernte" zustande. Neben etlichen Gelegenheitsgedichten wie einem Nachruf auf Peter Rosegger oder einem gereimten Geburstagsstrauß für den Bildhauer Hans Brandstetter enthält dieser Band eine weitere lyrische Grußadresse an Ernst Goll. Sie trägt kein Datum, kein Motto, ist mit keinem Nachsatz, keinem erklärenden Untertitel versehen; der Name des Adressaten genügt ihr als überschrift. Das Entstehungsjahr und der nähere Anlass bleiben im Dunkeln, schon die erste Strophe aber macht deutlich, dass die Autorin hier aus größerer zeitlicher Entfernung zu dem Toten spricht als noch im Juli 1913:  

Und jeden Sommer ist's, als müßt ich dich
Im Bogenstrich der reifen Ähren grüßen,
Der sacht die sonnensatte Stille rührt,
Bis er verzittert zu des Schnitters Füßen.

Kaum hat sie sich auf seine Spur begeben, gelangt Aline Aliberti traumwandlerisch zu Goll'schen Schlüsselworten ("Sehnsucht"!) und Leitmotiven (Anhauch des Herbstes; der nahende Abend):

Im Lufthauch, der den wunderwehen Duft
Der späten Lindenblüte auf den Schwingen,
Im Traum der Lerchen, die aus seligem Blau
Schon ahnungsleis' von Herbst und Schweigen singen. –

Und wenn der Mittag durch die Felder geht,
Hoch, hell und schweigend, seh ich auf den Pfaden
Dein Lied ihm folgen, leidverirrt wie du,
Doch tief verklärt von Gottes reifsten Gnaden.

Nur seine Stirne weist das bitt're Mal
Der Suchenden, die alle Sehnsucht tragen …
Wie es die Augen noch zur Sonne hebt,
Hör ich es bang schon nach dem Abend fragen.

Im Nachlass von Professor Fussy findet sich ein Zeitungsausschnitt mit dem Erstdruck dieses Gedichts, allerdings, wie bei allen Zeitungsausschnitten in seiner Sammlung, ohne Datums- und Ortsangabe.
Ich vermute, dass es zwischen 1919 und 1922 in der "Tagespost" zu lesen war, denn die Buchausgabe stellt es in unmittelbare Nähe zu zwei Gedichten, die auf die neue Grenzziehung von 1919 und den damit einhergehenden Verlust der alten Südsteiermark reagieren und sie aus der Perspektive der deutschsprachigen Bevölkerung beklagen. In diesem emotions- und spannungsgeladenen politischen Kontext gewann die Dichtung Ernst Golls für die Steiermark neue Bedeutung, ungeahnte Aktualität, und das mochte die Dichterin dazu bewogen haben, ihm neuerlich eine Hommage zu widmen.
Bei der Durchsicht etlicher Sonntagsausgaben der ersten Nachkriegs-"Tagespost" bin ich zwar auf zahlreiche Aliberti-Gedichte gestoßen, bislang aber noch nicht auf dieses eine.



Zurück ins Jahr 1914: An Golls zweitem Todestag verzichtete die "Tagespost" auf eine lyrische Hommage und brachte stattdessen ein bis dahin unbekanntes kleines Gedicht aus seinem Nachlass, das erst im Zuge einer Neuausgabe des "Bitteren Menschenlandes", die 1926 bei Leuschner & Lubensky erschien, unter dem redaktionellen Titel "Stille" in die Gedichtfolge eingereiht wurde. Es hat alle Züge eines lyrischen Programms: "Weil Glück und Trost des Seins/ Einfalt und Stille sind, / So wünsch ich nur noch eins:/ Zu werden wie ein Kind ..."

Zeitgleich publizierte der "Heimgarten", damals bereits unter der Redaktion des Rosegger-Sohnes Hans Ludwig, in seiner Julinummer 1914 ein Goll-Denkmal, entworfen von Eduard Adolf Kraus. Wie bei Schütz und Aliberti handelt es sich auch bei diesem Autor um einen Altersgenossen des toten Dichters. Sein vierstrophiges Gedicht trägt den schlichten Titel "Requiem für Ernst Goll / † 13. Juli 1912" und hat die folgende Gestalt:

Ein letzter Griff ins volle Saitenspiel,
Ein leuchtendes Tondurcheinanderfluten –
Und dann ein Sprung –: des Jenseits Hülle fiel!
Nun weißt du mehr, als Lebende vermuten.

In tausend Seelen schwingt dein Wesen fort
Und manche Sehnsucht zehrt noch von dem Deinen.
Wem sollte da das harte, herbe Wort,
Das Wort vom "Sterben", nicht zu rauh erscheinen?

Du warst auf Erden kurze Zeit nur Gast,
Doch was du uns an tiefster Kunst gegeben,
Was du an Licht in uns gegossen hast,
Das läßt dich leben, läßt dich  e w i g  leben!

So laßt uns denn, ob wir am Grab auch stehn –
Doch starke Hoffnung in dem Glauben fassen:
"Wahr ist's, der Mensch kann von dem Menschen gehen,
Doch kann die Liebe nie von Liebe lassen!"

Vom Dichter dieser Zeilen wissen wir nur sehr wenig: Am 7. Juli 1916 ist er, noch jung an Jahren, am Monte Zebio gefallen; nach seinem frühen Tod fand sich niemand, der seine verstreut publizierten Texte geordnet und in Buchform herausgegeben hätte, wie dies bei vielen anderen im Ersten Weltkrieg gefallenen Dichtern umgehend geschehen ist, man denke etwa an Franz Janowitz oder Rudolf Bernreiter.
Am Vorabend des Ersten Weltkrieges hatte Eduard Adolf Kraus sich der Leserschaft von Roseggers "Heimgarten" mit Versen empfohlen, die zumindest in ihrer Stimmung stark an Goll erinnern: "Die Nacht hat Ruh' geboren,/ Die Seele ist befreit,/ Es drängt mich zu den Toren/ Der Gottunendlichkeit./ Der laute Tag verwehte,/ Der Tag, der rauh begann,/ Und alle schwere Fehde,/ Die uns gequält, verrann –  – – ". Sein eben zitiertes Requiem wird beziehungsreich flankiert von den Poemen "Goethes Tod" und "Lenaus Begräbnis", die im selben Jahrgang der Zeitschrift zu finden sind. Der deutschnationale Akzent bei alledem ist unüberhörbar, und im deutschnationalen Jargon, der damals im "Heimgarten" üppig wucherte, ist auch der Nachruf gehalten, den Chefredakteur Hans Ludwig Rosegger seinem gefallenen Mitarbeiter im Septemberheft 1917 widmete:




Golls dritter und vierter Todestag verstrich unbemerkt und unkommentiert, zu seinem fünften Todestag aber wurde ihm in der "Tagespost" erneut ein lyrisches Denkmal gesetzt, und zwar von niemand Geringerem als seinem Freund und Nachlassverwalter Julius Franz Schütz.  


Bild "JuliusFranzSchuetz_Gedaechtnisopfer_kl.jpg"

Tagespost, 8. Juli 1917

Gedächtnisopfer
Zum Todestage Ernst Golls (13. Juli)

"Ihr vervierfachtet den Becher, ihr sagtet:
Freund, hilf! dann ginget ihr den Weg der Unsterblichkeit
zu der Schar der Götter." (Rigveda)

Seid mir gegrüßt, ihr Nächte ohnegleichen,
Du Sommersternbild, Bach und Busch und Baum!
Euch grüß ich, Freunde in den hohen Reichen,
Euch, meiner Jugend starken stolzen Traum.

Im Becher schwankt der rote Wein der Feste –
der Tod war bräutlich euch und laubumkränzt,
Ihr aber gingt mit königlicher Geste
Den Weg, der von Äonen Göttern glänzt.

Nun seid ihr fern … die heiligen Schollen trinken
Den dunkeln Weihetrank, den ich vergoß,
Es schweigt die Flur, und tausend Blüten sinken
Und nur die Toten sind unnahbar groß.

Dich Stillsten aber, Edelsten und Reinsten
Grüß ich, als Bruder heute noch wie je,
Da schaffend wir im Mächtigsten und Kleinsten
Gemeinsam litten alles Werdens Weh.

Noch glüht der Wein, es schwelt die Nacht von Sternen,
Herzbruder, dir! Das Ewige ist nah!
Wir wollen opfernd zu vergessen lernen
Wie dir um Liebe bitt'res Leid geschah.


Bei diesem Gedicht handelt es sich um die dritte von drei lyrischen Goll-Hommagen, die von Julius Franz Schütz in gedruckter Form vorliegen. Die erste trägt den schlichten Titel Ernst Goll †, erschien am 22. Dezember 1912 in der Grazer "Tagespost" und stellt den nicht sonderlich geglückten Versuch dar, dem toten Freund einen Weihnachtsbrief in Versen zu schreiben. Die zweite Hommage, literarisch wesentlich überzeugender, ist ein Rollengedicht mit der überschrift "Ernst Goll spricht" und findet sich in dem umfangreichen Band "Erben, Eigen und Liebe", mit dem Schütz Anfang 1914 als Lyriker debütierte. Das vorliegende dritte Gedicht wurde vom Verfasser in keines seiner späteren Lyrikbücher übernommen, auch nicht in den Auswahlband "Der Weg ohne Tod" (1940), der Proben aus allen Schaffensperioden enthält.
Nachdem Schütz dieses klingende Gedächtnisopfer dargebracht hatte, äußerte er sich meines Wissens nur noch zweimal öffentlich zu Golls Person und Werk: 1922 in einem Gedenkartikel aus Anlass des 10. Todestages, erschienen wiederum in der "Tagespost", und 1942 in einer Rede bei einer Goll-Feier in Graz.

– Christian Teissl