Jänner 2015

Eine slowenische Zeitungsnotiz
zum Tod von Ernst Goll

von Christian Teissl

Der im untersteirischen Pettau, dem heutigen Ptuj, zwischen 1900 und 1918 erschienene Štajerc, Sprachrohr der gleichnamigen Partei "deutschfreundlicher Slowenen", brachte in seiner Ausgabe vom Sonntag, dem 21. Juli 1912, die folgende knappe Notiz:

Bild "02_Stajerc_Goll.jpg"

IN GRAZ ist der Philosoph Hr. Ernst Goll aus
Slovenj Gradec gestorben. Der Jüngling ist wohl infolge
übermäßiger geistiger Aktivität verrückt geworden.
Trotz seiner Jugend war er bereits ein anerkannter Poet.
Er ruhe in Frieden!

An dieser Notiz ist zweierlei bemerkenswert: zum einen die Art und Weise, wie sie den Freitod des Dichters umschreibt und verschleiert, zum andern der nachdrückliche Hinweis auf seine Reputation.

Der ausgeblendete Freitod
In der Parte seiner Familie, veröffentlicht von der Grazer Montagszeitung am 15. Juli, heißt es euphemistisch, Goll sei "unerwartet verschieden". Hier hingegen ist, etwas vage, doch mit erstaunlicher Bestimmtheit von geistiger Umnachtung die Rede: eine Vermutung, die in den hundert Jahren seither immer wieder geäußert wurde, sich allerdings durch nichts belegen lässt. Golls Abschiedsbrief an Julius Franz Schütz, eines der wichtigsten Selbstzeugnisse überhaupt, wirkt in Schriftbild, Tonfall und Gehalt aufs Äußerste gefasst, durchdacht und abgeklärt. Ruhig und mit Bedacht wird hier der Welt Adieu gesagt, detailgenau die Rechtsnachfolge geregelt ...

Ein bekannter Name
Wesentlicher Bestandteil der Goll-Legende war und ist der Irrglaube, erst der frühe Tod des Dichters habe den Weg frei gemacht für sein Werk, erst nach dem traurigen Ende seiner Lebensgeschichte beginne die Erfolgsgeschichte seiner öffentlichen Wirksamkeit. In meiner Ausgabe bemühte ich mich um eine Korrektur dieses Bildes; es klar und deutlich zu widerlegen gelang mir aus Mangel an gesicherten Quellen noch nicht.
Nun aber, drei Jahre und etliche glückliche Funde später, überrascht es mich nicht mehr, dass der Štajerc schon im Juli 1912 einem "anerkannten Poeten" seine Reverenz erweisen konnte, denn genau das war Ernst Goll zum Zeitpunkt seines Todes. Mögen seine Veröffentlichungen ihrem Umfang nach auch bescheiden gewesen sein, so erschienen sie doch allesamt an prominenter Stelle – in der "Tagespost", im Grazer "Herold" und in der "Marburger Zeitung" – und waren markant genug, ihn als Nachwuchsautor im heimischen Literaturbetrieb zu etablieren.
Wer damals in der Steiermark an Lyrik und insbesondere an Nachwuchslyrik interessiert war, dem wurde Goll nicht erst durch die Buchausgabe Ende 1912 zum Begriff, den hatte wohl schon vorher der eine und andere Vers in der Zeitung aufhorchen lassen.

Bild "01_Stajerc_21-Jul-12.jpg"

Warum der Štajerc?
Dass es ausgerechnet der Štajerc war, der von Golls Tod Notiz genommen hat, ist kein Zufall. Der junge Dichter galt, trotz seiner lebenslänglichen Distanz zur völkischen Literatur à la Kernstock und Polzer, seinen Landsleuten ohne Zweifel als Angehöriger des deutschnationalen Milieus, und diesem Milieu brachte damals von allen slowenischen Blättern des steirischen Unterlandes einzig und allein der Štajerc Sympathien entgegen.
"Štajerc", schreibt Vincenc Rajšp, in seiner grundlegenden Darstellung des Slowenischen Pressewesens in der Habsburger Monarchie, "war prodeutsch und gegen die slowenische Nationalpolitik gerichtet. Besonders scharf ging das Blatt mit der slowenischen Geistlichkeit ins Gericht. Obwohl das Programm sowohl der Zeitung als auch der 'Štajerc-Partei' breit angelegt war, konnte sie nur etwa die Hälfte der Untersteirer ansprechen. Versuche, die Reichweite auf Kärnten und Krain auszuweiten, scheiterten. Die proslowenischen Blätter standen zum Štajerc in entschiedener Opposition."

(Quelle: Die Habsburger Monarchie 1848-1918; Bd. VIII, 2: Politische Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2006, S. 2273; weiterführende Literatur: Ivan Rihartic, Die Stajerc-Partei und die Zeitung Stajerc im Ersten Weltkrieg. In: ZHVfSt 90 (2008), S. 367-387)


Ein großes Dankeschön an Daniela Kocmut und Jelka Samec Sekereš für ihre Übersetzungen der slowenischen Notiz.