Kleine Nachlese zur "Nachlese"


Bild "Willkommen:Cover_Gollnachlese.jpg"Meine im Herbst 2015 erschiene Goll-Nachlese bietet nicht nur bislang unbekannte Texte des Dichters, sie liefert auch Bausteine zu seiner Biographie. Einige weitere ergänzende Bausteine seien hier nachgereicht.


In meinem Stellenkommentar zu den Kartengrüßen findet sich auf S. 44 ein biographischer Abriss zu Golls Halbbruder Hans; ein kurzgefasster Lebenslauf mit einer Lücke von fünfzehn Jahren, die Spanne von 1930 bis 1945 betreffend. In dieser Zeit arbeitete Hans Goll, der nach Abschluss seines Studiums der Architektur an der Technischen Hochschule Graz offenbar seinen erlernten Beruf nicht ausüben konnte, im elterlichen Hotel- und Gastronomiebetrieb in Windischgraz /Slovenj Gradec, der inzwischen freilich längst nicht mehr von seinen Eltern, sondern von seinem Bruder Karl geführt wurde. Anders als Karl und dessen Frau Ludmilla gelang Hans nach Kriegsende 1945 die Flucht über die Grenze nach Österreich.

(Diese Information verdanke ich einer mündlichen Mitteilung von Frau Irma Štumpfl, Slovenj Gradec.)

Gleichfalls im Stellenkommentar zu den Kartengrüßen aus den Jahren 1907 bis 1909 findet sich eine historische Fotographie des untersteirischen Städtchens Wöllan, heute Velenje. Zum Kurzkommentar, den ich diesem Ort gewidmet habe, ist zu ergänzen, dass ein Onkel des Dichters, Johann Goll, zu jener Zeit in Wöllan einen Restaurant- und Hotelbetrieb führte.



Der Mittelteil des Buches enthält unter dem Titel "In trautem Verein"  Verse zu festlichen Anlässen: kurze Spruchdichtungen, Freunden zugedacht, langmächtige Scherzgedichte, zum Vortrag in geselliger Runde bestimmt. Zwischen Jux und Tollerei findet sich hier ein Juwel: das Lied zur Vermählung einer Jugendfreundin (im Buch auf S. 65ff.); es datiert vom 27. April 1908. Am Tag davor, einem Sonntag, fand im "Hotel Post", Golls Vaterhaus, eine Benefizveranstaltung zu Gunsten der deutschen Schule des Ortes statt. Man versäumte nicht, einen Bericht darüber dem Grazer Tagblatt einzusenden; dort stand er wenige Tage später zu lesen:

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Grazer Tagblatt vom 5. Mai 1908, Morgenausgabe

Wenige Monate später berichtete das Blatt erneut von einem festlichen Ereignis in Windischgraz, und abermals fällt der Name eines jungen Germanistikstudenten:

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Grazer Tagblatt vom 19. Juli 1908, Morgenausgabe

Im Nachlass des Autors an der Stmk. Landesbibliothek sind die hier erwähnten Gelegenheitsarbeiten nicht überliefert, weder die Hymne an die Unterdrauburger vom Mai noch das Festgedicht "O, das wär' schön" vom Juli 1908; beide müssen sie bis auf Weiteres als verschollen gelten. Die Zeitungsnotizen, in denen sie Erwähnung finden, bezeugen immerhin, dass Goll auch noch während seiner Grazer Studienzeit am gesellschaftlichen Leben seiner Heimatstadt lebhaften Anteil genommen hat.
Golls Naheverhältnis zur Windischgrazer Ortsgruppe der "Südmark" habe ich im Buch anhand seiner Rodelhymne (S. 63 ff.) aufzuzeigen versucht, ohne ein abschließendes Urteil zu fällen. Mangels weiterer biographischer Quellen wie Tagebücher und ausgedehntere Korrespondenzen lässt sich nicht sagen, wie weit der Dichter sich mit den Anliegen und Zielen dieses deutschen Schutzvereins identfiziert hat. Dass er mit ihnen wenigstens vorübergehend sympathisierte und über gute Kontakte zu Südmark-Kreisen verfügte, steht jedoch außer Zweifel: "Den Brüdern im bedrohten Land/ Warmfühlendes Herz, hilfreiche Hand!" – dieses seinerzeit weitvebreitete Südmark-Motto findet sich wohl nicht zufällig auf einer der im Buch erstmals wiedergegebenen Grußkarten.



Auf S. 73 des Buches ist der heute völlig vergessene Dichter Wolfgang Burghauser abgebildet, ein enger Vertrauter Ernst Golls. Angehöriger des Jahrgangs 1883 wie Franz Nabl und wie dieser aus Böhmen gebürtig, wurde Burghauser bereits in jungen Jahren, lange vor Nabl, in der Steiermark heimisch. Rudolf List nennt ihn in seinem "Steirischen Künstlerlexikon" (Bd. I, 1967, S. 62) einen "um das steirische Kulturleben und um die Kunstförderung verdiente[n] Schriftsteller".
Seit 1907 stand Burghauser im Dienste der steiermärkischen Statthalterei. Einer seiner ersten Dienstorte war Windischgraz / Slovenj Gradec. Hier bekleidete er das Amt eines Statthaltereikonzeptspraktikanten, ehe er 1911 nach Cilli/ Celje versetzt wurde. Später, nach 1918, wirkte er auch in Leibnitz, ehe er nach Graz zurückkehrte, wo er 1938 gestorben ist.
Dass er in Windischgraz kein reines Beamtendasein führte, sondern auch sein musisches Talent zur Geltung bringen konnte, beweist der Bericht von einem Bunten Abend zu Gunsten der Errichtung eines Schutzhauses auf dem nahe der Stadt gelegenen Ursulaberg (Uršlja Gora), der am Sonntag, den 26. Juni 1910 stattfand, wie bereits der Theaterabend zwei Jahre zuvor im Hotel von Golls Vater. Die Programmfolge erschließt  sich aus den zeitgenössischen Presseberichten. Nach einem Lichtbildvortrag über Windischgraz und Umgebung folgten musikalische Darbietungen: Eine Frau Hilde La Harp sang, am Klavier begleitet von dem ortsansässigen Musiker Josef Klinger, Lieder von Hugo Wolf und Wilhelm Kienzl, anschließend konzertierte das Salonorchester des Windischgrazer Musikklubs. Der zweite Teil des Abends  brachte kabarettistische Darbietungen eines Herrn Richard Hauser aus Unterdrauburg/ Dravograd und eine literarische Vorlesung, verblüffenderweise nicht aus den Schriften eines Lokalmatadors, sondern aus dem Werk des Münchner Bohemiens Otto Julius Bierbaum, der wenige Monate zuvor verstorben war (die führenden steirischen Blätter brachten ausführliche Nachrufe).
Der Rezitator war niemand anderer als Wolfgang Burghauser, und man darf annehmen, dass Ernst Goll damals unter den Zuhörern saß.

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Seite 145 des Buches zeigt ein Rollenfoto von Raoul Aslan, dem nachmaligen Burgtheaterdirektor, aus der Zeit seines Grazer Engagaments. In meinem Stellenkommentar erwähne ich, dass er im Herbst 1909 nach Graz engagiert wurde und 1911 nach Stuttgart wechselte. Das genaue Datum seines letzten Grazer Auftritts bin ich allerdings schuldig geblieben; es war der 19. Mai 1911:  

Bild "Goll_Nachlese_4a_Aslan.jpg"


In seinem Buch "Raoul Aslan und das Burgtheater", einer Schauspielerbiographie von hohem literarischen Rang, weiß Erhard Buschbeck, der Jugendfreund Trakls und langjährige Cheframaturg des Hauses am Ring, über Aslans Grazer Jahre Folgendes zu berichten:
"In Berlin sprach er bei dem Grazer Direktor Heinrich Hagin vor, der ihn als jugendlichen Helden und Liebhaber auf zwei Jahre an das Theater der steirischen Hauptstadt verpflichtete. Es nahm unter den österreichischen Provinzbühnen den ersten Rang ein. Aslan darf sich nun sagen, daß er sich eine ernste Plattform erobert hat, er wird als Schauspieler vollwertig genommen und bewegt sich fast mühelos in dem für andere oft so schweren Berufe. Es ist auch nicht mehr bloß das gute Aussehen und die dekorative Erscheinung, die ihn auf den Brettern gelten lassen, man spricht von seiner hinreißenden Leidenschaft, der psychologischen Verfeinerung seiner Gestalten und seiner ausgesprochenen Sprachbegabung. Dabei lernt er sehr leicht und paßt sich unschwer auch entlegeneren Rollen an, wenn sie nur menschliche Schatten werfen. Alles ist dazu angetan, sein Lebensgefühl zu übersteigern, und es drückt sich in Graz so aus, daß er überall mit zwei Riesenhunden erscheint, oder mit ihnen im geliebten Gummiradler, dem Fahrzeug eines wirklichen 'Herrn', spazierenfährt. Bei aller bohèmehaften Exaltiertheit gehört dem Theater sein ehrlichster Eifer. […] In Graz erscheinen bei seinem Scheiden die freundlichsten Nachrufe, und von seiner Abschiedsvorstellung wird geschrieben, daß er in einem Meer von roten und weißen Rosen stand, die die jungen Mädchen ihm zugeworfen hatten, und zwei Ansprachen halten mußte, bevor der eiserne Vorhang dem Jubel ein Ende machte."



Als das Stück "Der dunkle Punkt" von Kadelburg & Presber 1910 erstmals in Graz gegeben wurde, handelte es sich um eine Novität. Goll widmete ihr eine sarkastische Besprechung, die damals in seiner Schublade verschwand und erst durch die vorliegende "Nachlese" das Licht der Öffentlichkeit erblickte (siehe S. 129 ff.).
Mittlerweile erfuhr ich, buchstäblich im Vorübergehen, im Zuge anderweitiger Recherchen, von einer weiteren Grazer Inszenierung dieses Bühnenschwanks: Im Frühjahr 1919, gegen Ende der langen, prägenden Ära von Direktor Julius Grevenberg, war am seinerzeitigen Theater am Franzensplatz, das nunmehr "Schauspielhaus" hieß und am Freiheitsplatz stand, eine Neueinstudierung zu sehen:

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Ab September 1910, noch unter der Direktion des streitbaren und umstrittenen Heinrich Hagin, begann die "Illustrierte Revue der Vereinigten städtischen Bühnen in Graz" zu erscheinen, der selbstbewusste Versuch einer Haus- und Programmzeitung des Grazer Theaters, dem allerdings keine lange Lebensdauer beschieden war.
Auf den Titelseiten der ersten Nummern findet sich diese Portraitaufnahme der jungen Schauspielerin Ella Staerck. Ein halbes Jahr zuvor, Anfang März 1910, hatte sie in Alfred Möllers Grazer Inszenierung von Heinrich Leopold Wagners "Kindsmörderin" die Titelrolle der Evchen Humbrecht verkörpert. "Frl. Staerck als Evchen Humbrecht gab uns eine schöne Probe ihres reichen Talents", bemerkt Ernst Goll in seiner Kritik, die in der vorliegenden "Nachlese" erstmals im Druck erscheint.